Togo-Tagebuch

 
 

Juli/August 2022

 

 

 

 

Freitag, 22. Juli – Kofferzählen. Abstieg in der Stadt der Liebe.

Von links nach rechts: Nicole Wiederkehr (OP-Schwester), Peter Schömig (Anästhesist), Sara Eichenberger (OP-Schwester), Hannah Schömig (Anästhesistin), Armin Junghardt (Augenarzt), Julian Sromicki (Augenarzt), Valeria Sogne (Assistentin), Uta Junghardt (Architektin)

Samstag, 23. Juli – Chinesen im Ganzkörperanzug. Kochbananen.

 

6:00, Frühstück im Hotel in Flughafennähe. Hannah und Valeria meinen, dass sie ihren Kaffee in aller Ruhe trinken wollen. Um 5:50 stehen sie bei der Hotelrezeption, sehnsüchtig auf den Kaffee wartend. Das Buffet eröffnet fast pünktlich, fünf Minuten vor 6:00 werden noch gewährt, damit sie und der Rest der Gruppe sich in aller Ruhe auf den Kaffee, die französischen Croissants und Petit Pains au Chocolat stürzen können.

 

Ankunft in der Rot Kreuz-Unterkunft in Vogan, in der Nähe des Spitals.

Auf dem Flieger von Paris nach Lomé: Die Chinesen machen uns ein bisschen Angst mit ihren Ganzkörperanzügen.

Dann: Flughafenmetro, problemloses Check-in der Koffer, und ab auf den Flieger. Die Chinesen sind auch unter uns. Eingepackt in weissem Ganzkörperanzug, einer hat sogar eine Schutzbrille montiert. Zwischenlandung in Niamey. Fast der ganze Flieger geht raus, auch die Chinesen.

Landung abends in Lomé. Wir werden abgeholt von Père Théo und Mitarbeitern der Rot Kreuz-Unterkunft in Vogan. Wir kommen an, müde von der Reise. Gut, dass es jetzt etwas zu essen gibt: Für den Magen und die Seele. Kochbananen. Süss-fettig. Und jetzt heisst es:

Moskitonetze montieren.

Ventilator an.

Licht aus.

Unter den hauchdünnen Seidenschlafsack kriechen.

Gute Nacht.

Frohen Mutes, am Flughafen Zürich.

Die Koffer gezählt: eins, zwei, drei, vier... fünfzehn!

In drei Koffern, ganz klein und unscheinbar, hat es je 20 kg Pulver drin! Das wird dann, einmal auf rotem togolesischem Sandboden gelandet, zu Konstruktionszwecken für das neue Spital verwendet, denn die neue Augenklinik soll mit nachhaltigem Erdbeton und heimischem Boden gebaut werden. Aber dazu später. Hier sind wir noch weit entfernt von der Architekten-Sitzung, bei der auch Uta und Valeria dabei sein werden.

Die Kofferaufgabe verschlingt eine oder zwei Stunden. Der Flughafenbeamte kommt ins Schwitzen. Armin spricht es an: Wir hätten da noch "Sand" drin... in den drei Koffern. Sand? Der Beamte holt seinen Vorgesetzten. Der Vorgesetzte nennt Armin einen "jungen Mann" und dann klappt es mit den Koffern ganz leicht, sogar mit denen mit dem "Sand" drin. Übrigens: Der "Sand" ist ein weisses Pulver aus Mineralien!

Und so kommt alles gut. Die Koffer landen in Paris. Vollzählig.

Aber wir sind noch weit entfernt von afrikanischem Boden.

Denn wir sind gezwungen, in der Stadt der Liebe zu übernachten. Nicht, um auf den Eiffelturm zu steigen, sondern um in einem Hotel in Flughafennähe zu übernachten. Die Koffer werden gerollt, geschleppt, die Rolltreppe herunter und wieder hinauf. Der Lift ist kaputt.

Bis das richtige Hotel gefunden wird, fahren wir einmal mit der Flughafenmetro die gesamte Strecke hin und zurück.

Und dann.

Hotelzimmer.

Licht aus.

Schlafen.

Bis zur nächsten Etappe.

 

Sonntag, 24. Juli – Pfingstklänge. Bier und Nüsschen bei Père Théo.

Erstes Frühstück unter der togolesischen Sonne. Wir haben an alles gedacht: Nespresso-Kaffee, Ovomaltine, Erdnussbutter und selbstgemachte Heidelberg-Konfitüre von Peter aus dem Schwarzwald.

Fast wie zu Hause. 

Um 9:00: Lauter Gesang und scheppernde Musik, die sich zu einem Crescendo steigert. Wir machen uns auf zur Kirche nebenan, eine Pfingstkirche. Wir werden freundlich aber bestimmt angewiesen, die Geschlechtertrennung einzuhalten: Frauen links, Männer rechts. Blaue Plastikstühle. Togolesinnen und Togolesen, Männer, Frauen und Kinder – besonders Frauen und Kinder – sitzen da, stehen auf, tanzen in einer Reihe beschwingt durch die ganze Kirche hindurch. Amen, Hallelujah, Amen, Praise the Lord, Amen, Jesus Christ, Hallelujah, Amen. So viel verstehen wir noch von der Predigt. Der Pastor ruft uns nach vorn. Armin stellt uns vor, wer wir sind: Dass wir eine Augenklinik hier bauen möchten, in Vogan. Wir werden aufgefordert, zu singen und sind peinlich verlegen. Wir lassen es sein, die Gemeinde geleitet uns wieder zurück an unsere Plätze, indem sie uns einen Weg durch die Stuhlgänge hindurch bahnt, und so tänzeln wir zurück. Wir winken der Gemeinde zu, Abschied, und gehen zurück in die Rot Kreuz-Unterkunft. 

Wir befinden uns in Fussdistanz zum Spital von Vogan. Wir erkunden die Fläche nebenan, wo eines Tages die neue Augenklinik stehen soll. 10'000 m2, ich kann mir nichts darunter vorstellen. Muss auf jeden Fall gross sein, denn Armin meint, um ein Haus zu bauen, brauche es 500 m2. Dann: Begrüssung von Augentechniker Ernest und seinem Team der bestehenden Augenabteilung im Spital, welche die Stiftung eingerichtet hat. Es wird ausgepackt, medizinisches Material kommt schön säuberlich in die Regale, aus den Koffern raus, die es vollzählig den ganzen weiten Weg bis hierher geschafft haben. Uta öffnet die Baupläne der neuen Augenklinik auf dem Laptop. Zuerst mag das nicht gelingen. Doch der Stress fällt hier, wo alle schön herumhängen, schnell ab. Die Leute rennen nicht wie bei uns. Sie schlendern. Ganz langsam.

Nach dem Auspacken: Mittagessen in der Rot Kreuz-Unterkunft. Der Küchenchef ist ins Schwitzen gekommen, als er gehört hat, dass wir uns ausschliesslich vegetarisch ernähren würden. Wir haben aus der Vergangenheit gelernt und wollen dieses mal auf schwarz verkohlten Fisch oder zähes Hühnchen verzichten.

Am Nachmittag gehen wir zu Fuss zu Père Théo, dessen Haus etwa 45 min. von uns entfernt ist. Wir sehen: Den schwarz verkohlten Fisch in den Marktständen. Benzin, das in Flaschen abgefüllt verkauft wird: Tankstelle. Wir machen einen Abstecher bei Hubert, einem vortrefflichen, aber leider armen Maler mit sechs Kindern. Er zeigt uns seine Kunstwerke. Eines erklärt er uns ausführlich: Die afrikanische Frau und ihre Lasten. Sie muss das Essen auf den Tisch bringen und Kinder gebären. Denn hier sind es die Frauen, welche die ganze harte Arbeit erledigen. Und weiter geht es zu Père Théo. Sein Grundstück ist riesig, grün, mit Bäumen, die Orangen sind ganz klein und grün. Er hat renoviert. Den Boden, die Küche, die Gästezimmer. Hier ist der togolesische Zweit-Sitz der Stiftung, Père Théo unser Stiftungsrat in Togo. Es wird getrunken, Bier, und vortreffliche Nüsschen werden serviert. Wir bekommen Besuch: Von Chef-Ärztin Akakpo und der Organistin Ruth Kuster. Fotos werden gemacht. Heimreise. Abendessen, es gibt Spaghetti und Pommes. Und dann: Licht aus, und ab unters Moskitonet

Action in der Pfingstgemeinde: Auch Sara tanzt mit!

Hier wird Grosses entstehen: die neue Augenklinik Que Tu Voies. Gleich neben dem Spital von Vogan.

Die Lasten der afrikanischen Frau

Montag, 25. Juli – Schweizer Ordnung. Taffe Bauleute.

Heute wird weiter eingeräumt. Die ersten Patientinnen und Patienten, klein und gross, reihen sich schon geduldig in die Holzbänke ein. Oder liegen oder sitzen auf dem Boden. Der erste, ein alter, hagerer Mann, liegt schon seit Freitag oder Samstag mit seiner Frau da, ebenfalls eine alte und hagere Gestalt.

Um 9:00 wäre eigentlich die erste Architektur-Sitzung. Wäre. Denn der Architekt, ein cooler Typ aus Lomé, jung, und ganz in Weiss eingekleidet, hat den Termin vergessen. Bis er da ist, ist es fast Mittag.

Während Uta, Armin und Valeria an der Sitzung sind, räumen Hannah, Peter, Julian, Nicole und Sara weiter Regale ein. Die ersten Voruntersuchungen gibt es auch schon.

Um 13:00 wird dann in der Rot Kreuz-Unterkunft zu Mittag gegessen. Schon wieder gibt es hartgekochte Eier. Und rote Sauce mit Zwiebeln. Zur Freude aller gibt es mal Wassermelone statt Ananas zum Nachtisch.

Nachmittags geht es für die einen mit Auf- und Einräumen weiter, während Uta, Armin und Valeria Sitzung Nummer zwei mit den taffen Bauleuten haben. Immer mit dabei: Père Théo. Ein wichtiger Mittelsmann in diesem Land, wo man Männern und Geistlichen Achtung und Respekt schenkt.

Père Théo (unverkennbar im weissen Hemd und mit Holzkreuz) und Uta, die Architektin, umgeben von den drei taffen Jungs aus dem Bau beim Spital von Vogan.

Bis es so weit ist, wartet dieser Patient vier bis fünf Tage geduldig auf seine Operation. Gemeinsam mit seiner Frau. Er wird als erster operiert.

Freude herrscht! Aber auch Anstrengung. Zwei Tage muss das OP-Team einräumen, bevor es ans Operieren geht. Arbeit, die man sich mit der neuen Augenklinik sparen könnte! Aber Augenarzt Julian ist voller Energie.

Dienstag, 26. Juli – Premiere für Hannah. Der erste Patient.

Der erste Tag, an dem wir um 6:00 frühstücken. Die Milch ist ausgegangen. Die nächsten importierten Tetrapackungen aus Frankreich befinden sich in der Hauptstadt Lomé, ca. eine Autostunde entfernt von der Rot Kreuz-Unterkunft. Die Erdnussbutter ist auch am Ausgehen. Und Peters heissgeliebte Konfi mit den Schwarzwälder Heidelbeeren, aber die können wir leider nicht ersetzen. Es hat, so lange es hat. 

Für Nicole, Armin, Sara, Peter und Hannah beginnt der erste OP-Tag. Für Hannah eine Premiere! Es wird voruntersucht. Und operiert, in dem ganz kleinen Raum nebenan. Endlich Zeit, die neue Augenklinik mit mehr Platz zu bauen! Schon montags waren zehn bis zwanzig Leute im Warteraum, heute sind es eher zwanzig bis dreissig, die drinnen und draussen warten. Auch Babys sind unter den Grauen-Star-Patienten dabei. Eines ist sogar ganz blind. Doch es ist nur ein paar Monate alt und kann nicht operiert werden. Zu gefährlich ist die Anästhesie bei den ganz Kleinen. Das OP-Team operiert Kinder ab zwei Jahren.

Uta und Valeria müssen ohne die fliessenden Französisch-Kenntnisse von Armin an die nächste Architekten-Sitzung: Runde zwei der Vorstellungsgespräche. Auch Père Théo ist dabei und hilft ein wenig bei der Übersetzung. Nach einer Stunde gebrochenem Französisch sind die Ladys platt.

Sie nehmen sich eine kleine Auszeit und gehen zur Rot Kreuz-Unterkunft zurück. Dort steht jedoch schon die nächste Aufgabe an: Uta belauscht die Pläne des Küchenteams, dass es schon wieder Spaghetti und die ekligen Pilze aus der Dose geben soll. Valeria schreitet helfend zur Tat und übersetzt die Menü-Wünsche des OP-Teams auf Französisch: Kein Dosenfutter mehr, sondern frische lokale Kost vom Markt. Und mehr Abwechslung bei den Früchten und Gemüsen. Und weniger Ei. Und definitiv keine Spaghetti mehr. 

Nach zwei Stunden, wo Uta produktiv am Computer arbeitet und Valeria produktiv Pause macht, indem sie ein Buch liest, gehen die beiden wieder zum Spital zurück. Dort ist das OP-Team bei Operation Nummer elf dran. 

Der alte hagere Mann und seine Frau sind immer noch auf dem Spitalgelände. Sie bleiben da bis zur Nachkontrolle morgen.

Am ersten OP-Tag werden elf Patienten operiert. Auf engstem Raum. Wermutstropfen: Zwei, drei Reiche hat es auch dabei. Die könnten sich eine OP eigentlich leisten. Doch es ist nicht ganz einfach, die Spreu vom Weizen zu trennen. Das OP-Team einigt sich, mehr auf die Kleidung, das Schuhwerk und darauf zu achten, wie viele Fremdsprachen die Patienten sprechen. Denn die Armen sprechen sicherlich kein Englisch, und auch kaum Französisch.

Geschafft! Der erste Patient erholt sich von der OP. Und bleibt bis zur Nachkontrolle hier.

Auch dieser Patient erholt sich von der OP.

Patienten gross und klein warten auf ihre Augen-OP. Um möglichst viele zu operieren, werden die meisten nur an einem Augen operiert.

Auch ausserhalb der Klinik wird gewartet. Auch mehrere Tage.

Dieses Baby hat beidseitig den Grauen Star. Und ist erblindet.

Anästhesistin Hannah bereit gemeinsam mit Pfleger Lucien den ersten Patienten für die OP vor. Links im Hintergrund: Italien-Vorhang der EM  2012.

Mittwoch, 27. Juli – Strahlendes Gesicht. Inspiration für die neue Augenklinik.

Operationstag Nummer zwei. Patient Nummer eins hat jetzt eine Brille. Seine Frau strahlt über beide Augen. Der Warteraum ist immer noch voll und füllt sich nach und nach immer mehr. Diesen Tag werden es zwölf OPs sein, die das Team schafft. Eine mehr als am Vortag. Yeah!

Uta und Valeria machen sich gemeinsam mit Père Théo auf den Weg nach Sichem, einer gemeinnützigen Kooperative mit einer Bibliothek, einem kleinen Laden, Hühner- und Schweinezucht, und einem Hörsaal für Studierende aus dem Bereich Landwirtschaft. Auf uns warten: Dr. Gnanli Landrou höchstpersönlich, der Erfinder des zementfreien Erdbetons und Inhaber der Firma Oxara. Dieser Erdbeton wird das Lebenselixier für die neue Augenklinik werden, die Uta schon seit stolzen vier Jahren plant. Gemeinsam mit der leider verstobenen Architektin Sibylle Bucher. Landrou ist vom weiten togolesischen Norden bis zu uns in den Süden gefahren. Komi Adegon, der coole Architekt, heute in Grau erschienen, und die taffen Bauleute mit ihrem Chef Raphaël Adzamah, sind auch da. Es gibt eine Tour durch das weitläufige Gelände. Uta und Valeria sehen zum ersten Mal einen Spielplatz und Spielzeug in der Bibliothek. Denn die Kinder in Togo spielen nicht, wir hören sie aber singen oder Klatschspiele machen, die sie in der Schule gelernt haben, um Französisch zu lernen.

Adzamah und sein Team vereinbaren mit Uta, dass die Tests, wie sich die Backsteine mit dem Oxara-Pulver herstellen lassen, am Freitag stattfinden. Adegon wird auch da sein. Und Père Théo.

Übrigens: Nein, bei den 3 mal 20kg handelt es sich nicht um "Sand" für Konstruktionszwecke für die neue Augenklinik, wie bei der Gepäckaufgabe am ersten Reisetag gesagt wurde. Es handelt es sich um ein Pulver, das aus verschiedenen Mineralien besteht.

Dann geht es weiter mit Uta, Valeria, Père Théo und Adegon, der uns vorausfährt. Und natürlich unserem Fahrer, der uns mit dem gesponserten Togo-Büschen von Nicole fährt. Wir fahren nach Lomé, in die Hauptstadt. Sehen das pompöse Regierungsgebäude. Die US-amerikanische Botschaft: Es gibt noch ein anderes Togo, ein herausgeputztes. Beim französischen Gymnasium steigen wir aus. Wir landen in einer Welt voll Kunst und Kultur, mit gepflegtem Rasen. Dann geht es weiter auf einen Hügel, wo Adegon gerade eine Verarbeitungsanlage für Gemüse baut. Das erste Mal für Uta und Valeria auf einer togolesischen Grossbaustelle! Nach diesem Tag hat Uta genügend Inspiration für die neue Augenklinik getankt. Sie sieht: Es ist möglich, hier zu bauen.

Patient Nummer eins mit Brille. Und seine Frau strahlt über beide Ohren!

Architektin Uta, Dr. Gnanli Landrou, Raphaël Adzamah und Père Théo bei Besprechung unter offenem Himmel. Mit dabei: die drei kleinen Koffer mit dem Oxara-Pulver.

Donnerstag, 28. Juli – Glibber. In ganz Afrika bekannt.

Im Vorbereitungsraum läuft Gospelmusik. Der Augentechniker Ernest schaukelt auf seinem Stuhl dazu im Takt. Hannah gefällt das und sie meint, sie würde die auch ganz gern auf ihrem Arbeitsplatz in Deutschland abspielen lassen.

Sie erklärt mir, wie sie die Patienten genau auf die OP vorbereitet: Sie bekommen Tropfen. Zwei verschiedene: für die Betäubung des Auges und zur Vorbeugung von möglichen Entzündungen oder Infektionen während der OP. Dann kriegen die Patienten noch körnchengrosse Tabletten ins Auge, um die Pupille zu weiten, sodass sie vorerst auch nicht mehr auf Licht reagiert. Hannah zeigt mir auf ihrem Smartphone das Bild einer Linse: Ein Glibber. Irgendwie habe ich mir da so was Hartes vorgestellt. In der Schweiz wird bei einer Grauen-Star-OP die Linse zertrümmert, abgesaugt und dann durch eine künstliche eingesetzt. Nach neuster Technologie. Die das OP-Team auch hier nach Togo gebracht hat. «Wir arbeiten hier mit den neusten Geräten, vom Standard ist alles so, wie bei uns in der Schweiz», ergänzt Armin. Das einzige Problem ist der Platzmangel. Ein zweiter OP-Raum steht zwar bereit, wie ich heute entdeckt habe, es fehlen aber noch Geräte, und auch ein Anästhesist und zwei OP-Schwestern. 

Hannah ist mit den Vorbereitungen aber noch nicht fertig: Sie führt eine intravenöse Kanüle im linken Arm einer Patientin ein, worüber die Tropfanästhesie laufen wird. Und sie sucht auch die passende künstliche Linse für den jeweiligen Patienten raus. 

Zwei Kinder hätten heute eigentlich operiert werden sollen: Dem einen haben die Eltern vor der OP zu Essen gegeben. Das geht gar nicht, denn die Gefahr, dass das Kind unter Betäubung erbrechen muss, ist zu gross. Mutter und Kind werden weggeschickt. Das zweite taucht gar nicht erst auf. 

Dafür gibt es Besuch aus Nigeria. In ganz Afrika sprechen sich die Grauer-Star-Operationen der Schweizer herum. Armin dreht ein Video auf seinem Smartphone mit der nigerianischen Dame: Wie denn die Augen-OP verlaufen sei? Ausgezeichnet. Was nicht so ausgezeichnet ist, ist, dass die Dame zu den Wohlhabenden gehört. Sonst hätte sie sich eine Reise bis hierher gar nicht leisten können. Ab jetzt greift Armin durch: Medizinisches Material muss noch gekauft werden, und die Reichen müssen endlich anfangen, Geld für ihre OPs zu bezahlen. Beim nächsten reichen Patienten, den Armin erblickt, verlangt er 25'000 togolesische Francs. Das sind umgerechnet knapp CHF 40.- für die OP an einem Auge! Spottbillig für uns, doch das Monatsgehalt eines togolesischen Taxi-Fahrers beträgt nicht viel mehr: CHF 50.-

Eine weitere gute Aktion des Tages: Nicole Wiederkehr und ihr Mann Rolf haben ausgemistet. Die Hemden, T-Shirts und Mützen sind per Container nach Togo geschifft und heute verteilt worden. 

Dieser orange Glibber ist eine Augenlinse!

Schwestern in Aktion, von links nach rechts: Hannah, Sara und Nicole verteilen im Warteraum Kleider...

... und das kommt gut an!

Die Ausbildung von heimischem Pflegepersonal ist ein wichtiges Anliegen der Stiftung – Hannah wechselt sich deshalb mit Pfleger Lucien ab, der hier die intravenöse Kanüler einführt zur Vorbereitung für die Anästhesie. Im Hintergrund: Krankenschwester Marie.

Freitag, 29. Juli – Das erste Kind wird operiert. Markt mal anders.

Grauer-Star-OPs an Kindern sind eine langwierige Angelegenheit. Es braucht mehr Vorbereitungen, als bei Erwachsenen, weil die Kinder unter Vollnarkose gesetzt werden. Nach der OP schlafen die Kinder dann noch eine Weile, bis sie ein wenig zu Essen und zu Trinken bekommen. Nicht zu viel, sonst wird ihnen schlecht. Trauriger Fakt: Viele Kinder bekommen den Grauen Star einseitig (an einem Auge), weil das Auge wegen der vielen Ohrfeigen verletzt wurde... An diesem Tag wird die 50. Augen-OP geknackt!

Die Anästhesie hat eine Menge zu tun: Hannah (in der Mitte) und Peter (rechts aussen) sind ein super Tochter-Vater-Gespann.

Und was auch noch geschah an diesem Tag: Uta und Valeria sind wieder nach Sichem gefahren. Am Vorabend haben Raphaël Adzamah und seine Jungs Erde an vier Stellen vom Boden neben dem Spital von Vogan geholt. In Sichem werden nun mit dem Oxara-Pulver und den vier Erdproben Backsteine gepresst.

 

Die Erde wird aus dem Boden geschaufelt. Ab 50 cm. Denn die ersten 50 cm des Erdbodens sind voller Wurzelwerk und totem Blattwerk. Erst danach kommt die gute Erde.

Nachdem die Erde von Vogan nach Sichem transport wurde...

... wird sie endlich mit diesem berühmten Pulver zusammengemixt, das wie Koks aussieht.

Freitagnachmittag nimmt sich die Gruppe dann Zeit, um an den Markt von Vogan zu gehen. Ein "Riesen-Puff" für uns Schweizer: Tote Tiere, die als Voodoo-Fetische benutzt werden, so weit das Auge reicht: Affenköpfe, Vogelfedern, Knochen und Tierhaar, das von den Ständen runterhängt. Ein Riesengestank. Schwarzer verkohlter Fisch. Und doch gibt es auch etwas zu kaufen: Sara sucht sich farbigen Stoff aus, um daraus Kleider zu nähen.

Farben, Gerüche und Produkte aller Art: Markt mal anders. Fotos sind oft nicht erwünscht. Voodoo-Fetische werden während Ritualen "aktiviert", um Kontakt mit der Geister- und Götterwelt aufzunehmen.

... und tadaa! Der erste magische Backstein mit dem Zauber-Pulver... wird sind mal gespannt, welche der vier Proben am besten ist!

Samstag, 30. Juli – der kleine Prince. Uta und Valeria reisen pünktlich zum 01. August in die Schweiz.

Heute wird gleich ein Paar Augen an einem Menschen operiert: Als erster ist der kleine Prince dran. Er ist erst sechs Jahre alt. Die Grauer-Star-OP nützt gerade bei Kindern bis 12 Jahren am meisten, da sich die Sicht bis zu diesem Lebensjahr am besten korrigieren lässt.

Noch sind beide Augen von Prince zugedeckt. Bevor er nach Hause geht, werden die Binden abgenommen. Hier mit seiner Mami und Hannah am Ausruhen.

Sonntag, 31. Juli – Ruhetag!

Und dann waren's nur noch sechs. Von links nach rechts: OP-Schwester Sara, Augenarzt Julian, Augenarzt Armin, Anästhestistin Hannah, OP-Schwester Nicole, Anästhestist Peter. Hier am Strand der Hauptstadt Lomé tankt die Gruppe Kraft für den Montag. Baden kann man da allerdings nicht. Zu gefährlich wegen der Wellen!

Lomé hat den grössten Tiefseehafen Westafrikas.

Auf seinem T-Shirt steht "Prince". Deshalb wird er hier der kleine Prince genannt. Gegen die Nervosität hat er vom OP-Team einen kleinen Ball bekommen. Sicherlich hilft auch, dass er auf Nicoles Schoss sitzt. Rechts aussen: Hannah.

Uta und Valeria haben ihre Mission punkto Augenklinik erfüllt und gehen zurück ins Land von Lindt & Sprüngli: 

An dieser Stelle bedanken wir uns auch bei der Helferin und den Helfern der Rot Kreuz-Unterkunft in Vogan. Sie haben unter anderem für uns eingekauft, gekocht, den Tisch gedeckt, das Mittagessen zum Spital gebracht, abgewaschen und geputzt.

Montag, 01. August – Auch die "Schweizer Togolesen" hissen die Flagge

In der Rot Kreuz-Unterkunft des OP-Teams gesellt sich noch ein weiteres Kreuz hinzu.

Dienstag, 02. August – Sobedo! Tosso!

Sobedo! Guten Morgen!

Tosso! Gleichfalls!

Ein üblicher freudiger Arbeitstag mit teils sehr harten und weissen Linsen.

Alles geht gut.

Bei Ankunft am Morgen werden wir wie Helden begrüsst.

Grosses Raunen geht durch die Menge wartender Patientinnen und Patienten im Warteraum.

Manche von ihnen warten schon seit letztem Donnerstag auf eine Operation.

Wenn sie heute nicht drankommen, dann während unseres nächsten Einsatzes im Oktober mit Team Nr. 2.

Mittwoch, 03. August

Wieder ein erfolgreicher Operationstag.

Alle Operationen gelingen gut.

Zum Glück sind wir gut ausgerüstet und haben viel Erfahrung.

Beidseitig haben wir ein Kind operiert bisher und heute einen alten, bärtigen Mann.

Sonst muss eine Seite genügen fürs Leben.

Donnerstag, 04. August – die 100. OP!

Heute voller Operationstag: Die 100. Operation ist geschafft!

Wir denken schon an die Rückreise, obwohl wir morgen weiterarbeiten.

Das Inventar für die Bestellungen für die nächste Gruppe im Oktober wird erstellt.

Geschafft! OP die Hundertste.

Freitag, 05. August

Heute ist unser letzter Operationstag. Schliesslich beenden wir den Einsatz mit 106 Operationen ohne Komplikationen. Wir sind sehr zufrieden, da unsere Ziele Qualität und Kontinuität sind, und nicht Quantität. Heute Mittag waren wir nochmals am Markt von Vogan. Chinesische Produkte sind übervertreten. Es fehlt eindeutig das afrikanische Handwerk.

Samstag, 06. August – Abreise

Heute ist Abreisetag. Alles muss eingepackt und sortiert werden. Mit Zwischenhalt in der Kooperative Sichem. Danach Fahrt zum Flughafen. Wir hatten einen sehr guten Aufenthalt zum Wohl der armen Bevölkerung. Bye bye, Togo, du Land des roten Sandes! Hiermit endet das Tagebuch Juli/August 2022.